Wilde Weiten auf Rädern und zu Fuß

Vorheriger Beitrag
Argentiniens Küste runter
2 Kommentare

Der Natur auf der Spur

Wir hatten eine ruhige Nacht am See in Los Antiguos hinter uns. Die Berge waren nun schneebedeckt und das Wasser klar. In der Stadt duschten wir erstmal kostenfrei und warm (ja warm muss genannt werden, keine Selbstverständlichkeit in Südamerika), dann kauften wir ein paar saftige Kirschen aus der Region und naschten diese nebenbei auf unserem Weg zur Ruta 41. Unter Reisenden ist die Strecke ziemlich bekannt und beliebt, zum einen für die bare Schönheit der Natur, zum anderen für die Route an sich, die von gut befahrbarer Piste bis zu abenteuerlichen Strecken alles bereithält. Wir stiegen direkt ein mit wunderschönen farbenfrohen Bergen, die uns von der chilenischen Seite aus grüßten. Von rot-orangenen Tönen über braun-gelblichen bis zu blau-türkisen Formationen war alles dabei. Mit der Kamera versuchten wir, die eindrückliche Landschaft vom Boden aus einzufangen, mit der Drohne dann auch aus der Luft. Die Vogelperspektive setzt immer nochmal ganz besondere Blickwinkel frei, von denen wir auf Augenhöhe nur träumen können. Umso mehr sind die imposanten und elegant mächtigen Kondore in ihrem langsamen Segelflug zu beneiden. Ihr Flug erscheint so mühelos und entspannt über unseren Köpfen, ewig könnten sie in den Lüften umhertreiben, ewig könnte man ihrem Segeln zuschauen. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir an diesem einen Felsvorsprung durch unser Fernglas mindestens 18 Kondore auf einem Fleck zählen können. Die riesigen Flügelspannweiten ließen die Vögel auch von weit weg noch groß erscheinen.

Stundenlang kam uns auf dieser Strecke kein Auto entgegen, dafür entdeckten wir noch zwei sich im Wollknäuel raufende Stinktiere und ein paar Flamingos. Bis Lago Posadas waren wir immer noch allein auf der Route voller hartem Wellblech unterwegs, nur ein anderer LandCruiser kam uns entgegen. Die wechselnde wilde Landschaft war unglaublich schön. So viele Farben verwöhnten unsere Augen, wir konnten uns kaum satt sehen. Die endlosen Weiten taten ihr Übriges.

Im Örtchen Lago Posadas am nächsten türkisblauen See fragten wir in der kleinen Touriinfo nach dem weiteren Zustand der Straße und wurden direkt enttäuscht. Die nette Frau meinte, die Strecke sei ab hier geschlossen, zu gefährlich wäre die Weiterfahrt, da starke Auswaschungen die Straße unpassierbar machten. Na toll, jetzt standen wir vor dem Dilemma. Sollten wir es trotzdem versuchen oder lieber einen mächtigen Umweg in Kauf nehmen? Leider hatten wir hier keinen Empfang, um vielleicht Online ein paar mehr Informationen heraus zu bekommen. Zur Ablenkung steuerten wir zunächst die frei zugänglichen Felsmalereien in der Nähe des Sees an, viele Tierzeichnungen und Symbole waren da an die Felsen gezeichnet worden. Wir verbrachten die Nacht am See und bekamen an diesem Abend sogar noch einen flüchtigen Besuch von einem flinken Gürteltier. Der nächste Morgen brachte neue Energie und Abenteuerlust, sodass wir uns nach unserem Frühstück nun doch zur Weiterfahrt auf der Ruta 41 durchringen konnten. Diese Entscheidung wurde direkt mit einem steilen Anstieg und vielen staubigen Serpentinen quittiert. Oben angekommen hatten wir aber einen grandiosen Ausblick über den großen blauen See.

Nun ging es weiter über richtige Wiesen- und Feldwege, an unzähligen Viehherden und freilaufenden Pferden vorbei und durch gefühlt tausende Tore, die wir öffnen und schließen mussten. Das war gar nicht immer so einfach, da manchmal nur eine Holzlatte, mit dem Zaunsdraht verbunden, hinter einen Pfosten gespannt war. Heraus ging es gut, nur den Zaun wieder dicht zu bekommen, dauerte manchmal eine Weile und brauchte auf jeden Fall unsere gemeinsame Anstrengung. Von den grünen Weiden mussten wir uns nun verabschieden, jetzt war eher karge Mondlandschaft in Sicht. So weit das Auge reichte nur trockene Hügel, sandig und felsig, überall lagen grobe recht gleichmäßige Steine herum, als wären sie absichtlich so angeordnet worden. Selbst die Straße war übersät von kleinen und größeren Brocken, sodass wir nur noch in Schrittgeschwindigkeit voran kamen. Mitten in dieser menschenunwürdigen Natur machten wir einen Wanderer auf dem Weg aus und hielten an, um kurz zu quatschen. Es war ein Norweger, der vom Pazifik zum Atlantik komplett zu Fuß unterwegs war. Zur Verpflegung hatte er im Vorhinein schon Essen in vereinzelten Unterkünften verstauen lassen oder auch mal vergraben. Nach ein paar Sätzen fragte er schüchtern nach einer Cola, wir boten ihm unsere Pepsi an, doch die verschmähte er. Selbst in dieser Situation kann man also noch wählerisch sein.

Ein paar Flussdurchfahrten später kam ein wirklich etwas heikler, steiler und matschiger Abhang, wo wir auf keinen Fall ins Rutschen kommen durften. Allrad hatten wir die ganze Zeit schon zugeschalten, jetzt brauchten wir natürlich noch die Untersetzung. Langsam arbeitete sich unsere Tilly den Berg hinunter, sie machte einfach ihr Ding und brachte uns sicher auf die flache Ebene. Auch die letzte Flussdurchfahrt, die uns auf dem gesamten Weg etwas Kopfschmerzen bereitet hatte, ergab sich als lösbare Aufgabe, wir hatten es also wirklich geschafft. Über 200 Kilometer Umweg hatten wir uns durch unsere Abkürzung über diese wunderschöne und einsame Strecke gespart, für die 54 Kilometer sind wir fünf Stunden unterwegs gewesen.

Nun waren wir erstmal am Ziel der beschwerlichen Reise: der Perito Moreno Nationalpark. Am Abzweig mitten im Nirgendwo neben gelangweilt grasenden Guanakos schmiegte sich die Siedlung der Ranger an eine schützende flache Felswand. Die Holzhütten sahen gemütlich aus und die Ranger begrüßten uns sehr freundlich. Wir besprachen unsere Wanderoptionen für den weitläufigen Nationalpark und trugen unsere Daten ins System ein. Für die kommenden Nächte hatten wir Hütten und Dome-Zelte gebucht, somit konnten wir entspannt unser Zelt im Auto lassen. Diese Nacht schliefen wir noch in der Tilly und starteten am nächsten Morgen den großen Rundweg über die Halbinsel. Umgeben von unglaublich türkisem Wasser lag die mit grünen Büschen übersäte Insel in wunderschöner Natur. Hinter dem blauen Nass schroffe Berge, einige mit Schnee und Gletschern bedeckt. Ab und zu ein Kondor in luftiger Höhe. Die Wanderung war an sich sehr entspannt, keine großen Auf- oder Abstiege, nur wahnsinnig schöne Ausblicke, sodass man hinter jeder Kurve direkt wieder ein Foto hätte schießen können. Bald hatten wir schon unsere Hütte in Sicht. Sie hieß Dos Bahias und machte ihrem Namen alle Ehre. Auf einer Landzunge zwischen zwei überschaubaren klaren Buchten bot die modern ausgestattete Holzhütte Platz für sechs Personen. Es war noch niemand anderes da und es kam auch keiner mehr, die Hütte und den wärmenden Kamin hatten wir also für uns allein. Genügend Feuerholz lag im Freien bereit. Wir wanderten ein bisschen umher, legten uns eine Weile an die Strände und machten uns dann, als es langsam dunkel wurde, ein schönes Feuerchen an. Die noch kleinere Holzhütte für die anderen Bedürfnisse lag etwas entfernt. In der Dunkelheit machte uns der Gang dorthin ein bisschen Angst, obwohl wir doch tagsüber so gern einen der hier lebenden Pumas entdeckt hätten. Nachts war dies eine ganz andere Nummer.

Schließlich überlebten wir die Nacht, es war sehr still und dunkel, keine Menschen, kein Licht, einfach gar nichts außer tausende Sterne. Zurück an der Tilly bereiteten wir uns direkt für die nächste kleine Tour vor. Dafür fuhren wir einige Kilometer weiter zum Ausgangspunkt der Wanderung Valle Lacteo. Hier ging es zwölf etwas langwierige Kilometer über einen gut ausgebauten Wanderweg hinter zum Camp. Dort gab es auch so eine schöne Hütte, die aber leider schon ausgebucht war. So bekamen wir die Chance, in einem Dome-Zelt zu übernachten, das mit einer Metallkonstruktion zu einer runden Kuppel geformt und mit einer Plane überspannt war. Darin fanden wir zwei Feldbetten vor und machten es uns mit unseren Isomatten und Schlafsäcken gemütlich. Wir waren extra zeitig dran, weil wir direkt noch zur Laguna de los tempanos, also zur Eisschollenlagune, wandern wollten. Der brausende Schneesturm in dieser Richtung ermahnte uns jedoch zum Abwarten. Also wurde es eine zeitige Nacht und ein zeitiger Morgen, jetzt war das Wetter viel besser. Die Mutprobe stand uns aber noch bevor. Wir mussten zunächst durch einen eiskalten Fluss waten, die Beine bis zu den Knien im Wasser und dermaßen kalt, dass man es kaum in einem Ritt hinüber schaffen konnte. Aus den Fluten guckende Steine verschafften eine kurze Verschnaufpause. Die Füße kribbelten wie wild, kurz abtrocknen und weiter. Es ging an einem sehr wilden Fluss entlang, über viel Geröll und durch große Gesteinsfelder. Dann waren wir an der eisigen Lagune mit den vielen Eisschollen darin. Dahinter eine einzige Wand aus Felsen, Schnee und Eis. Wolken versperrten zunächst den Blick auf den flachen Gipfel, später gaben sie etwas mehr davon frei. Wie schön diese raue Natur doch war!

Den Rückweg bezwangen wir in einem Rutsch und duschten uns an unserer Tilly schnell im Freien ab. Das war diesmal gar nicht so einfach, weil fiese Böen, wie wir sie noch nie zuvor erlebt hatten, aus dem Nichts jagten. Gerade nass gemacht, schon wieder alles mit Staub überzogen. Wir verkrochen uns nach der Wäsche in unser kleines Zuhause und machten uns ein schönes Abendessen. Der Wind würde sich schon noch legen. Aber weit gefehlt, die Böen schüttelten unsere Tilly dermaßen durch, es flogen sogar kleine Steinchen durch die Luft. Die Richtung konnten wir nicht bestimmen, es schien einfach überall her zu kommen. Dabei hatten wir extra neben einem schützenden Hügel geparkt. Mitten in der Nacht mussten wir handeln, es war zu heftig. Wir krochen aus dem Bett und fuhren die zwanzig Kilometer zurück zur Rangerstation, dort war es ein bisschen besser, aber an Schlaf war trotzdem kaum zu denken.

Auf dem hundert Kilometer weiten Weg zurück zum Highway wurden wir am folgenden Tag anständig von der Wellblechpiste durchgerüttelt, das erklärt wohl auch die wenigen Besucher im Nationalpark, obwohl die Wanderungen sowie die Übernachtungen komplett kostenfrei waren. Dieser Flecken Erde mit den unendlichen wilden Weiten und den schillernden Farben wird uns wohl für immer in wohliger Erinnerung bleiben.

Windig und wild ging es auch weiter, über Pinguine und die Eindrücke aus Feuerland könnt ihr euch im nächsten Bericht freuen.  

2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Hallo Ihr Lieben, wer von Euch Beiden schreibt eigentlich immer die schönen Texte? Was die Tilly so mitmacht ist schon krass! Was Ihr so macht, ist immer noch krasser! Bleibt behütet! Liebe Grüße von Mutti Angela

    Antworten
    • Hi Mutti, die Texte sind wie immer von mir, die Fotos bearbeitet Sven. Unsere Tilly ist schon eine feine Maschine, bald ein Oldtimer und dabei so sportlich am Start ☺️

      Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Deborah Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.