Aber gern, natürlich. Wenn wir schonmal da waren, konnten wir auch gleich eine Runde durch dieses kleine gemütliche Land voller gelassener Menschen drehen. Endlich, nach zwei ungeplanten Monaten Wartezeit, war unsere Tilly nun im Hafen von Montevideo angekommen und abholbereit.
Wir machten uns also von unserer letzten schönen Unterkunft in hoher Etage mit Meerblick auf den Weg in die Innenstadt und trafen unseren Agenten. Zusammen bereiteten wir alle Papiere vor, natürlich auf Spanisch. Am nächsten Tag fuhren wir ins Hafengelände und standen schon bald vor einer ganzen Horde von Arbeitern in auffälligem Orange. Sofort griffen diese zum Seitenschneider, durchtrennten die Plombe und öffneten im Anschluss die Türen des grünen Containers. Tatsächlich lugte gleich die hintere Front unserer Tilly heraus. Kurz danach war Tilly auch schon abfahrbereit, wir stiegen ein und kamen uns in unserem Reisemobil in den ersten Momenten ganz fremd vor. Eine Nacht ließen wir das Auto noch auf dem Hafengelände stehen, wechselten dann von den übergangsweise montierten alten Reifen zu unseren richtigen Reifen und waren endlich bereit zum Durchstarten. Südamerika, wir kommen!

Einen Stopp mussten wir allerdings noch einlegen. Der Berg von mitgebrachten Ersatzteilen sollte direkt zu Beginn unserer Reise eingebaut werden. Mit dem Mechaniker Martin waren wir schon eine Weile in Kontakt und konnten seine Werkstatt somit umgehend ansteuern. Als wir an seiner Halle im eher ländlichen Randbezirk von Montevideo vorfuhren, zeigte sich schon ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. Wir hatten einen echten Toyotaliebhaber erwischt. Er begrüßte uns mit ein paar Komplimenten zu unserem Auto, zeigte uns dann, wo wir übernachten und duschen konnten, denn am nächsten Morgen sollte es losgehen. Mit aufrichtiger Freude ging er die Ersatzteile durch. Richtige Sets zum Austauschen der Radlager, für die Handbremse und Spurstangenköpfe und einiges mehr. Und das in dieser guten Qualität. Allen Leuten, die am Tag so vorbeischauten, wurden die Sets unter die Nase gehalten und vorgezeigt. Viele Freunde und Nachbarn hielten es stundenlang in der Werkstatt aus, tranken etwas Mate, rauchten ab und zu und nahmen die Arbeiten am Auto als Unterhaltungsprogramm hin. Martin selbst konnte nur ein paar Brocken Englisch. Wenn es ernst wurde und wir nicht zusammen weiterkamen, rief er schnell seine Frau Paula an, die dann für uns übersetzte. Am Nachmittag kam die Tochter der Familie vorbei, brachte uns Süßigkeiten und Eis aus dem Supermarkt der Oma von nebenan und bespaßte uns mit Verstecken spielen und Roller fahren. Martin arbeitete den ganzen Tag, Feierabend war erst nach dem späten Abendessen um 23 Uhr. Paula hatte Pizza für alle vorbeigebracht. Da die kleinen und größeren Reparaturen dann doch eine ganze Woche dauerten, nahm uns der Mechaniker öfter zu seinen Besorgungen und Ausflügen in die Stadt mit. So bekamen wir etwas Abwechslung und lernten ein paar interessante Orte kennen. Die anfängliche Scheu seiner Freunde wich irgendwann dem Interesse, obwohl die Verständigung schwierig war. Stolz präsentierte uns der ältere Nachbar seinen selbstausgebauten Kastenwagen und alle enthaltenen Features.
Dann war es bald soweit, Tilly war fertig. Nach einer gründlichen Rundumwäsche schossen wir die letzten Bilder und hängten die von Paula bedruckte uruguayische Weihnachtskugel vorn an unseren Spiegel. Jetzt war die Zeit für neue Abenteuer gekommen.

Unsere erste Nacht verbrachten wir natürlich am Meer. Das Wetter passte perfekt, sodass wir schon den ersten Badetag einlegen konnten. Vor ein paar schönen Wohnhäusern standen wir am Straßenrand und bekamen das ruhige lokale Leben mit. Ein paar Spaziergänger, Strandbesucher, ein Gaucho auf einem Pferd. Etwas Musik aus der Ferne, dann nur noch Stille und die Wellen.
Kurz vor Anbruch der Dunkelheit sprach uns ein Mann an und meinte, dass wir für die Nacht hier schon ok sein würden. Wenn wir irgendetwas bräuchten, sollten wir doch zu seinem Haus um die Ecke kommen, sein Auto würden wir in der Einfahrt wiedererkennen. Wir bedankten uns überschwänglich. Dieses freundliche Interesse sollte uns noch öfter in Uruguay begegnen.

Die kommende Woche arbeiteten wir uns langsam die Küste hinauf, das Wetter war weiterhin auf unserer Seite. Kleine wuselige Strandörtchen voller einfacher Häuschen und Ferienhütten luden zum Verweilen ein. Die Einheimischen hatten selbst gerade Ferien, es schien viel los zu sein. Allerdings war der Grad an Trubel keinesfalls mit etwa dem der Mittelmeerküste zur Hochsaison vergleichbar, es ging trotz Sonne satt und weiten Sandstränden gediegen zu. Wir entdeckten ein süßes Fort, Seeelefanten am Pier, Delfine in den Wellen, einige malerische Leuchttürme und wanderten auf einer gewaltigen Sanddüne umher.
Palmen, Kühe, Pferde, Schafe, Ziegen und Nandus säumten das Bild bei unseren Fahrten von Ort zu Ort. Immer wieder passierten wir auch locker verteilte Hütten Marke Eigenbau, die alle anders gestaltet und teils kreativ gezimmert waren. Viele Wohnhäuser der Menschen vor Ort waren höchstens von der Größe einer Doppelgarage, man lebte hier einfach und ohne großen Schnickschnack. Auch die Straßen reihten sich in dieses Bild, schnell wechselte der Belag von Asphalt zu Schotterpiste. Manche Orte kannten nur die staubigen Straßen.
Und stets lag der Duft von Asado, der typischen Grillzeremonie, in der Luft. Angeln mochten die Menschen auch. Als wir mal wieder am Meer standen und den wunderschönen Sonnenuntergang bestaunten, wurden wir von einem Fischer zu seinem Auto gerufen. Er wollte uns gleich drei seiner schönen Fische schenken. Soviel konnten wir gar nicht essen, denn die Fische waren nicht gerade klein. Wir nahmen schließlich einen davon entgegen und konnten die Freundlichkeit der Leute gegenüber Fremden wieder einmal nicht fassen.

An der Küste entlang kamen wir Brasilien immer näher und nutzten im Städtchen Chuy die Möglichkeit, den brasilianischen Supermarkt abzuchecken. Einige Snacks waren deutlich günstiger als in Uruguay, wir tankten also Nüsschen und andere Knabbereien nach. Für Weihnachten peilten wir den Rio Negro im Landesinneren von Uruguay an, dort sollte man ruhig am Wasser stehen können. Bevor wir auf die Staubstraße abbogen, lernten wir einen netten Typen kennen, dem wir eine überflüssige Tasche von uns schenkten. Im Gegenzug schrieb er uns gleich seine Kontaktdaten auf und gab uns ein paar Tipps für die kommende Strecke. Falls wir irgendwelche Probleme haben sollten, können wir ihn anrufen, er würde dann direkt vorbeikommen, egal wann, egal wo.

Tatsächlich fanden wir nach einem halben Tag Fahrt wieder einen gediegenen Ort zwar voller Urlauber, aber mit entspannter Atmosphäre vor. Wir schlängelten uns durch den gut besuchten Campingplatz am Wasser entlang weiter nach hinten bis fast keine Autos mehr am Rand standen. Dort konnten wir direkt am Strand parken, mal unsere Markise herausholen und einige Tage verchillen. Draußen machten wir es uns mit unseren Stühlen im weichen Sand bequem, gingen ab und zu ins kühle Wasser und Spazieren, spielten etwas Frisbee. Vom nahegelegenen Campingplatz bekamen wir gerade so viel mit, dass es erträglich war. Der Sonnenuntergang war farbenfroh, im Dunkeln schwirrten ein paar Glühwürmchen umher. Es war wirklich der ideale Ort für ein schönes Weihnachten gewesen.

Nun fehlte uns für unsere Runde durch Uruguay nur noch die Westseite entlang des Rio Uruguay, dem Grenzfluss zu Argentinien. Über Paysandú bewegten wir uns nach Nuevo Berlin, wo ein wunderbarer Platz auf lauschiger Wiese am Fluss auf uns wartete. Toiletten waren sogar auch vorhanden, das getrimmte Gras erweckte den Eindruck eines gut in Schuss gehaltenen Campingplatzes, doch wir standen dort völlig kostenfrei und hörten den vielen Vögeln beim Zwitschern zu. Niemand störte sich jemals an unserer Anwesenheit, im Gegenteil. Stets schlugen uns echtes Interesse und eifrige Nachfragen entgegen.

Jetzt erwartete uns der letzte Stop des Landes in Fray Bentos, wo es eine Fabrik mit sehr interessanter Geschichte auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes geschafft hat. Hier wurde ab den 1860er Jahren nach einem speziellen Verfahren des deutschen Chemikers Justus von Liebig Rindfleisch zu Fleischextrakt verarbeitet, nämlich 32 Kilogramm Fleisch zu einem einzigen Kilo Fleischextrakt. Die sogenanntenn OXO-Cube Brühwürfel wurden weltberühmt. Aber auch viele weitere Produkte wurden in Dosen gefüllt und nach Europa verschifft. Diese Erzeugnisse waren für die militärischen Truppen und die Zivilbevölkerung im zu der Zeit unterversorgten Europa bestimmt. Die Rinder dafür kamen ausschließlich aus Uruguay, erklärte uns der Guide, der uns in einer kleinen Privatführung auf Englisch die Räumlichkeiten zeigte. Beeindruckend, wie eifrig diese Fabrik hochgezogen wurde. Es war der erste Ort in Uruguay, der überhaupt über Elektrizität verfügte. In den Hochzeiten der Produktion waren bis zu 5000 Leute aus 60 Ländern angestellt, 3000 Rinder wurden am Tag geschlachtet. In den 1920ern konnte das Fleisch auch direkt gefroren verschifft werden. Später mussten sie hier schließlich die Arbeit einstellen, die Nachfrage ging zurück und sie waren insgesamt nicht mehr konkurrenzfähig genug.
Für uns war dies ein spannendes und passendes Beispiel zu den rindfleischvernarrten Einheimischen und ein ganz besonderer Einblick in die Geschichte. Die freilaufenden Pferde und die motivierten Angler machten den Besuch am Fluss neben der historischen Fabrik zu einem ganz besonderen Erlebnis.

Unter Winken, Grölen und Daumen-hoch-Gesten von Leuten auf der Straße verließen wir nun das Land Richtung Argentinien. Für uns war dies eine gelassene Runde durch Uruguay gewesen, mit herzlichen Begegnungen, niedlichen Orten und gemütlichen Landschaften. Der Auftakt für Südamerika war also getan, so kann es gern für uns weitergehen!

2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Wieder schöne Bilder! Hattet ihr die Ersatzteile aus Australien mitgebracht? Und wie habt ihr den Mechaniker gefunden? Die Geschichte mit der Fabrik ist interessant.

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    • Danke. Ja genau, die Teile hatten wir alle aus Australien mitgebracht, das war auch genau das Richtige. Martin haben wir über eine App für Reisende gefunden, bei seinem ersten Toyotagrinsen wussten wir schon, dass wir gut aufgehoben sind ☺️

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